Neandertaler im Norden – eine archäologisch-geowissenschaftliche Lehrgrabung in Lichtenberg, Niedersachsen

Symbolbild zum Artikel. Der Link öffnet das Bild in einer großen Anzeige.
Ausgraben der Schichten, die mit der neandertalerzeitlichen Besiedlung von vor ca. 70.000 Jahren vor heute zusammenhängen.

Im Rahmen des Kooperationsprojektes „Climate Change and Early Humans in the North“ (CCEHN, siehe hier und hier) hat das Institut für Ur- und Frühgeschichte, FAU, zusammen mit dem Institut für Ökologie, Leuphana Universität Lüneburg, eine zweiwöchige archäologisch-geowissenschaftliche Forschungs- und Lehrgrabung durchgeführt. Die Durchführung von Kernbohrungen, Grundlagen der Grabungstechnik, das Erkennen und Bestimmen von Steinartefakten, oder Grundlagen der Sedimentologie wurden dabei in der praktischen Anwendung und anhand von gegenseitigem Austausch im Team von unseren Studierenden erlernt.

Rammkernbohrung in Lichtenberg, um die Schichten im Untergrund zu ergründen.

 

Einmessen und Abstecken des ersten Grabungsschnittes.

Die Fundstellen von Lichtenberg liegen an einem Paläosee, an welchem zwischen ca. 120.000 und 70.000 Jahren vor heute Neandertaler ihre Lagerplätze hatten. Lichtenberg stellt eine der nördlichsten Neandertalerfundstellen dar und dokumentiert die Anwesenheit unserer Vorfahren unter wechselnden klimatischen Bedingungen – von der letzten Warmzeit („Eem“, ca. 125.000 – 115.000 Jahre vor heute) bis zum ersten Kältemaximum der letzten Eiszeit (ca. 70.000 – 57.000 Jahre vor heute). Auch für spätere Zeiten sind Besiedlungen der Region belegt, etwa aus der Bronze- (ca. 2200 – 800 v.Chr.) und Eisenzeit (ab etwa ca. 800 v.Chr. bis ins Frühmittelalter, je nach Region), oder dem Mesolithikum („Mittlere Steinzeit“, letzte Jäger und Sammler Europas, ca. 10.000 bis 4000 v.Chr., je nach Region). Am Beispiel des Paläosees von Lichtenberg arbeiten wir an einer detaillierten Umweltrekonstruktion, um im Zusammenspiel mit den archäologischen Befunden die Anpassungsstrategien und Landschaftsnutzung der Neandertaler im Norden zu erforschen.

Ein Ziel der diesjährigen Kampagne war es, ein hochauflösendes Bohrtranssekt auf bis zu 9 m Tiefe anzulegen, um die Seeuferlagen im Untergrund zu sondieren und dokumentieren. Parallel dazu wurden Sondageschnitte angelegt, um die Oberflächennahe Schichtenfolge zu erschließen und die Ausdehnung von Fundstreuungen zu dokumentieren.

Ein Bohrkern, welcher die Schichtenfolge vom Paläosee in Lichtenberg zeigt. Die schwarzen Schichten sind Torflagen, die sich in ehemaligen ufernahen Bereichen des Sees gebildet haben.

In unserem Transekt von 16 Bohrungen konnten wir insgesamt 5 Ufersituationen verschiedener Warmphasen innerhalb der letzten Eiszeit nachweisen. Es ist nun geplant, einige oberflächennahe Uferlagen in den kommenden Jahren archäologisch zu untersuchen. In unseren Grabungsschnitten konnten wir in einem oberflächennahen Mischhorizont Besiedlungen aus der Eisenzeit (Keramik) und dem Mesolithikum (Steinartefakte) nachweisen. Auf neandertalerzeitliche Besiedlungen haben wir in unseren Grabungsflächen dieses Jahr nur wenig Hinweise gefunden. Lediglich einige wenige Steinartefakte konnten wir dokumentieren. Aber auch die Abwesenheit von Funden liefert uns neue Erkenntnisse: im Vergleich mit bekannten Fundstreuungen aus Lichtenberg können wir diese nun besser eingrenzen und wir können nun wesentlich besser einschätzen, wie sich die Siedlungsaktivitäten vor 70.000 Jahren am Lichtenberger See räumlich verteilt haben.

Dr. Michael Hein (Leuphana Universität Lüneburg) interpretiert und erklärt die Schichtenfolge in unserem Grabungsschnitt. Die Schichten sind durch kryogene Prozesse (Auftauen und Gefrieren im Permafrost) gestört und umgelagert.

 

Mesolithischer Klingenkern aus dem Mischhorizont unter dem Pflughorizont.