Archäologische Prospektion der Abbaukanten
Prof. Dr. Th. Uthmeier
1998-1999
Gefördert durch die Stiftung zur Förderung der Archäologie im Rheinischen Braunkohlenrevier, gemeinsam mit Prof. Dr. Jürgen Richter, Universität zu Köln
Anders als die zahlreichen Sand- und Kiesgruben des Rheinlandes, die lediglich Funde ohne archäologischen Kontext aus den Terrassenschottern von Rhein und Maas zu Tage fördern, schneiden die Tagebaue des rheinischen Braunkohlenreviers westlich von Köln mächtige Lössablagerungen auf einer Länge von mehreren Kilometern an. Nachdem zu Beginn des 20. Jahrhunderts der industrielle Abbau in kleinen bis mittelgroßen Gruben erfolgte, sind es heute die drei Tagebaue Inden, Hambach und Grazweiler, in denen auf Betriebsflächen von bis zu über 20 km² und in Teuftiefen zwischen 160 m und über 300 m die Braunkohlenflöze ausgebeutet werden. Geologische Aufnahmen der Abbauwände sowie Tiefenbohrungen im Vorfeld der Tagebaue haben gezeigt, dass sich die Lössdeckschichten im Bereich des Südfeldes des Tagebaus Garzweiler besonders gut erhalten haben. Im Südfeld von Garzweiler lagern über den Schottern der jüngeren Hauptterrasse des Rheins, der vor mehr als 700.000 Jahren das Gebiet des Tagebaus durchflossen hat, bis zu 20 m kaltzeitliche Lösse, die sowohl durch warmzeitliche Böden, Humuszonen und schwache kaltzeitliche Bodenbildung als auch durch Schotterlagen in sich gegliedert sind. Dank der flächendeckenden Dokumentation der geologischen Profile im Tagebau, die in Kombination mit vielen weiteren Aufschlüssen in eine Standardabfolge der niederrheinischen Lösse mündete, ist es möglich, die meisten Neandertaler-Fundstellen aus Garzweiler recht genau zu datieren. Eher ungewöhnlich ist dabei die vergleichsweise hohe Fundhäufigkeit während des ersten Kältehöchststandes der letzten Kaltzeit vor 70.000 bis 60.000 Jahren (Isotopenstadium 4). Nicht weniger als acht Fundpunkte datieren in eine Zeit, die noch bis vor wenigen Jahren als überlebensfeindlich angesehen wurde.
Neuerdings wird jedoch davon ausgegangen, dass sich das Klima in Europa nach dem Ende der letzten Warmzeit weniger schnell – und weniger heftig – abgekühlt hat, als man dies zuvor angenommen hatte. Während über Nordamerika ein großes Eisschild entstand, dürften die skandinavischen Gletscher in Europa kaum die Süd- und Westküste der Ostsee erreicht haben – vermutlich sind sogar die hohen europäischen Gebirge wie die Pyrenäen und Alpen eisfrei geblieben. Dem heutigen, vor allem auf grönländischen Eisbohrkernen beruhenden Kenntnisstand zufolge kam es nur während eines vergleichsweise kurzen Abschnittes am Ende des 1. Kältemaximums der letzten Kaltzeit zu hocharktischen Bedingungen, die je nach Entfernung zu den Gletschern eine Eiswüste oder eine offene Tundrenlandschaft zur Folge hatten. Diese im Vergleich zu früheren Annahmen günstigeren klimatischen und vegetationsgeschichtlichen Bedingungen schlagen sich auch in den Lössprofilen aus dem Tagebau Garzweiler nieder, wo vier schwache Bodenbildungen von einem Stillstand der Lössanwehung zeugen. Geologisch handelt es sich um „Nassböden“, die in dem wassergesättigten aufgetauten oberen Abschnitt des Permafrostes entstanden sind. Aus diesen Böden, vor allem aber aus den Sanden und Schottern gleichzeitig existierender Bachbetten stammen zahlreiche Artefakte und Faunenreste. Die Gewässer lassen sich als flache, weit verzweigte Bachläufe rekonstruieren, welche die auf dem tiefgründigen Permafrost stauenden Oberflächenwasser abführten.
Uthmeier, Th., Kels, H., Schirmer, W. & Böhner, U. (2011). Neanderthals in the cold: Middle Palaeolithic sites from the open-cast mine of Garzweiler, Northrhine-Westfalia (Germany). In N. J. Conard & J. Richter (Hrsg.), Neanderthal lifeways, Subsistence and Technology (S. 25-42). Dordrecht: Springer.