Kulturelle und biologische Transformationen im späten Mittelpleistozän (420-200 ka) der Qesem Cave, Israel: Untersuchungen zur Hominiden-Entwicklung in der Levante nach der Zeit des Homo erectus
Prof. Dr. Thorsten Uthmeier; DFG-Kooperations-Projekt gemeinsam mit Prof. Dr. Abraham Gopher und Prof. Dr. Ran Barkai, Faculty of Humanities, Department of Archaeology and Ancient Near Eastern Cultures, Tel Aviv University
seit 2015
Die in der Nähe von Tel Aviv, Israel gelegene Höhlenfundstelle Qesem Cave ist eine außergewöhnlich gut erhaltene Station des späten Mittelpleistozäns, deren archäologischen Horizonte absoluten Daten zufolge im Zeitraum zwischen 420.000 und 200.000 Jahren zur Ablage gekommen sind. Die bisher geborgenen Steingeräte-Inventare gehören in das Acheulo-Yabrudien des ausgehenden Altpaläolithikums in der Levante. Innerhalb der Region folgt das Acheulo-Yabrudien stratigraphisch regelhaft auf das Acheuléen und wird von Fundschichten des Mittelpaläolithikums überdeckt.
Neue Untersuchungen an menschlichen Zähnen, die im letzten Jahrzehnt aus der Abfolge der Qesem Cave geborgen werden konnten, ergaben als Träger des Acheulo-Yabrudien eine unbekannte Homininenart, die bei enger Verwandtschaft mit dem modernen Menschen gesichert jünger als Homo erectus ist. Zur Untersuchung dieses für die Evolutionsgeschichte des Menschen so wichtigen, aber weitestgehend unbekannten Abschnittes bietet die Qesem Cave ideale Bedingungen: zu dem großen Fundreichtum an Artefakten und Resten der Jagdfauna treten große Mengen an Kleinsäugern und Reptilien sowie zum Teil komplexe Feuerstellenbefunde. Die guten Erhaltungsbedingungen ermöglichen eine Rekonstruktion der jeweiligen Umwelt und die darauf ausgerichteten Anpassungsstrategien der neu in der Levante auftretenden Homininenart.
Der Schwerpunkt der Untersuchungen in der Qesem Cave liegt auf dem Kontext des Beginns der Anwesenheit der neuen Homininenart in der Levante sowie des Übergangs zum nachfolgenden Mittelpaläolithikum und auf der Frage nach der kulturellen Variabilität der archäologischen Hinterlassenschaften. Ausgrabungen in noch unberührten liegenden und hangenden Sedimenten der Höhlenfüllung zielen zum einen auf eine Klärung des Verhältnisses zwischen dem Acheulo-Yabrudien und dem vorangegangenen Acheuléen bzw. des nachfolgenden Moustérien. Zum anderen soll durch die Aufdeckung einer größeren Fläche um einen etwa 300.000 Jahre alten Feuerstellenbefund, in dessen Peripherie Konzentrationen mit unterschiedlichen Industrien des Acheulo-Yabrudien angeschnitten wurden, die Frage nach der kulturelle Einheit dieses Komplexes beantworten. Hierzu werden, wie für die gesamten ergrabenen Steingeräteinventare, Rekonstruktionen der Operationsketten unter besonderer Berücksichtigung von Nachschärfungen und Recycling angestrebt, die durch Untersuchungen der Gebrauchsspuren und Jagdbeutereste ergänzt werden.
Das angestrebte Projekt ist interdisziplinär angelegt und umfasst neben Ausgrabungen Untersuchungen zur Geoarchäologie, zur Umwelt, zur Anpassung des Menschen anhand von Jagdbeuteresten und Steinartefakten sowie absolute Datierungen. Zusammenfassend beschäftigt sich das Projekt mit einer für die Herausbildung des modernen Menschen wichtigen Phase vor 400.000 bis 200.000 Jahren, in der Homo erectus in der Levante verschwand und durch eine neue, unbekannte Homininenart ersetzt wurde.