Kreidehornstein der südöstlichen Frankenalb (3)
Sesselfelsgrotte, Schichten M3 – M1
Grabung Freund 1971 und 1975
Grundformabbau und Modifikation
Typologische Zugehörigkeit: Typisches Moustérien mit gezähnten Artefakten
Höhe des linken Abschlags: 5,5 cm
Dieses aus insgesamt 7 Artefakten bestehende Ensemble belegt die Herstellung von Grundformen von einem vorpräparierten Kern aus Kreidehornstein. Da keine natürlichen Flächen erhalten sind, haben wir keine Hinweise zur ehemaligen Gestalt des Rohstückes. Seine Herkunft darf jedoch in der lehmigen Albüberdeckung gesucht werden. Daß es in der Kreidezeit entstanden ist, wird durch das Glitzern der Spaltflächen nachgewiesen.
Das feinkörnige Material ist von einer sehr guten Qualität. Die Fossilreste, die als vereinzelte Schlieren zu finden sind, haben die Verarbeitung nicht beeinträchtigt. Abgesehen von häufigen sekundären Aussplitterungen an den schneidenden Kanten (die auf den Gebrauch oder auf sekundäre Überprägung im Sediment zurückgeführt werden müssen) sind Spuren einer Verwitterung, die nach der Verarbeitung eingewirkt hätte, nicht zu erkennen.
Die Form des links abgebildeten Abschlages wird von einem bogenförmigen Rücken (links) bestimmt, der einer schneidenden Kante gegenüberliegt. Distal liegt ein winklig ausgebrochenes Negativ – in diese Bruchkante kann das terminale Ende des zweiten Abschlages eingepaßt werden. Der Kern wurde beim Abbau also um 180 Grad gedreht.
Hervorzuheben ist der Abschlag ganz rechts: seine Form ist durch einen einzigen, schräg zur Schlagachse liegenden Dorsalgrat bestimmt, der von einer schräg an den Schlagflächenrest anschließenden Rückenbildung seinen Ausgang nimmt. Das andere Ende dieses Leitgrates bildete ehemals eine Spitze. Für solche Abschlagsformen hat die Typologie des westeuropäischen Mittelpaläolithikums die Bezeichnung ´Pseudolevallois-Spitze´ (Typ Nr. 5). Echte Levallois-Spitzen (Typ Nr.3) haben im Gegensatz einen zentralen Leitgrat, der vom Schlagflächenrest ausgeht und in der Richtung der Schlagachse verläuft, zusätzlich haben sie – wie auch die echten Levallois-Abschläge (Typen Nr. 1 und 2) – eine vollständig umlaufende Schneide.
Das Prinzip des Pseudolevallois-Abschlages ist auch in dem langgestreckten klingenförmigen Abschlag zu finden. Auch er hat einen schräg zur Schlagachse liegenden Leitgrat, der wie bei dem zuvor besprochenen Exemplar in einem an den Schlagflächenrest anschließenden Rücken endet. Innerhalb der Variabiltät der Pseudolevalloisabschläge stellt er jedoch mit seinem gestreckten klingenförmigem Umriß eine Sonderform (´Pseudolevallois-Klinge´) dar, die ich z.B. im Gebiet des Unteren Altmühltals bisher nur in etwa fünf Exemplaren finden konnte.
Die Herkunft der zahlreich an den Schneiden liegenden Aussplitterungen kann nicht mit Sicherheit ermittelt werden. Möglicherweise handelt es sich um Gebrauchsretuschen, z.T. mögen sie erst nach der Ablage im Sediment entstanden sein. Die einzige sichere beabsichtigte (intentionelle) Modifikation findet sich wieder an dem klingenförmigen Abschlag: es handelt sich um den distal gelegenen Bruch, der, wie der halbmondförmige Ausbruch im Verlauf der Bruchlinie belegt, durch einen gezielten Schlag hervorgerufen wurde. Die Absicht bestand wohl darin, das terminale Ende zu beseitigen. Das Ergebnis war ein regelmäßiger klingenartiger Span, zweifellos mit hohem Gebrauchswert.
Das dargestellte Ensemble kann uns im Übrigen auch einen Aspekt des urgeschichtlichen Lebens verdeutlichen: wir haben den Beleg für die Anwesenheit eines vollständig präparierten Kernes im Bereich der Fundstelle vor uns, dessen Zurichtung wir uns an einem anderen Ort, möglicherweise am vorherigen Lagerpatz, vorstellen müssen. Die Gruppe war also mit einem potentiellen Vorrat an Abschlägen (im präparierten Kern enthalten) unterwegs. Im Augenblick der Notwendigkeit wurden ´just in time´ von dem Kern die benötigten Werkzeuge abgebaut – indirekt ein Hinweis auf einen vorübergehenden Aufenthalt an der Fundstelle.
Literatur:
Weißmüller, W.: Die Silexartefakte der Unteren Schichten der Sesselfelsgrotte. Ein Beitrag zum Problem des Moustérien. Quartär-Bibliothek 5. Bonn, 1995. (Vgl.: Nr. 26)