Kreidehornstein der südöstlichen Frankenalb (4)Sesselfelsgrotte, Schicht M1
Grabung Freund 1969 und 1975
Grundformabbau und Modifikation
Typologische Zugehörigkeit: Typisches Moustérien mit gezähnten Artefakten
Höhe des linken Abschlags: 4,4 cm

Nur ausnahmsweise treten an den kreidezeitlichen Kieselbildungen der südöstlichen Frankenalb die Fossilstrukturen so deutlich in Erscheinung, wie bei dem Rohmaterial dieser beiden Abschläge. Zu erkennen ist eine lagenweise Anordnung hellerer und dunklerer Zonen, die stellenweise scharfkantig voneinander abgesetzt sind, stellenweise fließend ineinander übergehen. Durch eine unterschiedlich dichte Umbildung des Ausgangsgesteins wurden die Reste der Kieselschwämme konserviert. Wir können davon ausgehen, daß diese Lagen im Gestein ehemals waagrecht angeordnet waren. Daß diese Strukturen so deutlich zu erkennen sind, ist vor allem der ausgezeichneten Erhaltung zu verdanken.

Beide Abschläge zeugen wiederum von der ehemaligen Anwesenheit eines vollständig präparierten Kernes an der Fundstelle. Bemerkenswert ist die Ausprägung der Retuschen: durch unregelmäßig nebeneinander gesetzte Kerben ist ein gezackter Verlauf der Kanten zustandegekommen. Ganz extrem ist dies an der distalen Partie des linken Abschlages zu sehen, an der feine Spitzen entstanden sind. Sie zeigen keine sekundären Abnutzungsspuren und der Grund ihrer Anwesenheit ist eigentlich nicht so recht verständlich. Es ist nicht vorstellbar, daß solche Extremitäten intentionell angelegt worden wären, etwa um damit eine bestimmte Tätigkeit durchzuführen – sie wären dafür viel zu fragil. Vielmehr müssen wir davon ausgehen, daß diese Kerben das Ergebnis einer bestimmten Art der Verwendung dieser Artefakte darstellen.

In der mittelpaläolithischen Terminologie werden solche Kantenmodifikationen ´Gezähnte Retuschen´ genannt (´Denticulés´). In bestimmten Regionen des Mittelpaläolithikums (vor allem in Westeuropa) sind Fundstellen mit solchen Retuschen sehr häufig anzutreffen und sie haben deshalb zur Aufstellung einer eigenen Fazies des Mittelpaläolithikums geführt, zum sogen. ´Gezähnten Moustérien´ (´Denticulé-Moustérien´).

Schon sehr früh wurde der Verdacht geäußert, Kerben wie gezähnte Retuschen könnten von der Verarbeitung pflanzlichen Materials herrühren. Ebenso finden sich Hinweise, daß gezähnte Retuschen vorzugsweise in wärmeren Klimaabschnitten entstanden sind. Das Gezähnte Moustérien der Sesselfelsgrotte, das am Ende der Ablagerung des Schichtkomplexes M am deutlichsten in Erscheinung tritt, scheint in dieser Hinsicht jedoch eine Ausnahme zu machen: Die betreffenden Schichten (M2 und M1) werden nämlich durch Überreste vom Mammut eindeutig in ein kaltes Klima verwiesen.

Literatur:

Rolland, N., Middle palaeolithic socio-economic formations in Western-Eurasia: an exploratory survey. In: Mellars, P. (Hrsgb.): The emergence of modern humans. 1990, 366 f.

Weißmüller, W.: Die Silexartefakte der Unteren Schichten der Sesselfelsgrotte. Ein Beitrag zum Problem des Moustérien. Quartär-Bibliothek 5. Bonn, 1995. (Vgl.: Nr. 95)