Plattenhornstein der südöstlichen Frankenalb (1)
Sesselfelsgrotte, Schicht P
Grabung Freund 1975
Bifazial-Schaber mit verdünntem Rücken
Typologische Zugehörigkeit: Charentien-Moustérien
Länge: 5.3 cm.
Das in zwei Ansichten abgebildete Werkzeug ist aus einer unregelmäßigen Hornsteinplatte gefertigt. Die Rindenpartie der linken Ansicht fühlt sich „weich“ an, die der rechten zeigt eine größere Rauhheit. Entsprechend den Ausführungen zur Entstehung der Plattenhornsteine sollte die links abgebildete Fläche im Muttergestein nach oben gezeigt haben. Zwei deutlich wulstförmige Erhebungen auf der rechts gezeigten ehemaligen unteren Fläche (im oberen Viertel und knapp unterhalb der Mitte des Stückes gelegen) könnte man auf eine Riffelung des Liegenden zurückführen, wie sie an einem schlammigen Boden durch einen leichten Wellenschlag hervorgerufen wird. Demnach wäre die Bildung dieser Platte in einem (zeitweise) durchfluteten und deshalb mit Sauerstoff versorgtem Milieu vor sich gegangen. Diese Annahme wird unterstützt durch die Anwesenheit von Fossilien bzw. deren Lebensspuren im Inneren der Hornsteinplatte, die sich in Gestalt unscharf begrenzter, dunkler Punkte zu erkennen geben.
An die Rinde der oberen Seite (links abgebildet) schließt eine dunkelblaue Zone von ca. 1.5 mm Dicke an, die dann in eine bräunliche Farbe übergeht, welche bis zum Erreichen der liegenden Rindenfläche gleichbleibend ausgeprägt ist. Die Gründe für die Entstehung dieser „geschichteten“ Einfärbung sind unbekannt – gleichwohl sind sie ein charakteristisches Kennzeichen für die Plattenhornsteine der südöstlichen Frankenalb.
Die terminale, leicht konkav verlaufende Begrenzung des Stückes ist eine natürliche Bruchfläche, die, nach der schuppigen Ausbildung (nicht abgebildet) zu schließen, auf einen Bruch nach der Aushärtung des Kieselgels zurückzuführen ist. Alle restlichen Kantenbegrenzungen sind anthropogene Flächen.
Kennzeichnend für die typologische Einordnung ist die sanft gebogene Arbeitskante. Vorbereitet wurde sie durch weit auf die Rindenfläche ausgreifende Retuschen (Ansicht links), vollendet durch kurze, flach geführte Retuschen (Ansicht rechts). Mit diesem zweistufigen Vorgehen wurde eine in der Aufsicht (nicht abgebidet) nahezu gerade verlaufende, scharf schneidende Arbeitskante erzeugt, mit der man – angesichts der ausgezeichneten Erhaltung – auch heute noch Fleisch, Haut, Holz und Knochen leicht durchtrennen könnte.
Die typologische Einordnung dieses Stückes steht vor Schwierigkeiten: Die scharf schneidende Arbeitskante widerspricht der einfachen Zuordnung des Stückes in die für das Mittelpaläolithikum kennzeichnende Klasse der Schaber; vielmehr müßte sie der Klasse der Messer zugeordnet werden. Die für das Mittelpaläolithikum gültige, an westeuropäischen Materialien erarbeitete Typologie hat für solche Messer-Formen (weil sie in Westeuropa so nicht vorhanden sind ?) jedoch keine genaueren Unterscheidungen.
Nach der westeuropäischen Typologie müßte das Werkzeug als ´Bifazial-Schaber´ (Typ 28 nach F.Bordes) oder aufgrund der auf der rechten Fläche liegenden, flachen stichelartigen Retuschen als ´Schaber mit verdünntem Rücken´ (Typ 27) angesprochen werden. Für den mit mitteleuropäischen Werkzeugen befaßten Archäologen ist jedoch die Anordnung ´messerartige Schneide gegenüber Rücken´ von besonderem Interesse, da sie auf eine für das Mittelpaläolithikum Mitteleuropas (Micoquien) kennzeichnende Geräteform (Keilmesser) hinweist.
Literatur:
Bordes, F.: Typologie du Paléolithique ancien et moyen. Cahiers du Quatérnaire Nr. 1. Paris 1981 (Neuauflage der Ausgabe Bordeaux 1961).
Weißmüller, W.: Die Silexartefakte der Unteren Schichten der Sesselfelsgrotte. Ein Beitrag zum Problem des Moustérien. Quartär-Bibliothek 5. Bonn, 1995. (Vgl. Kat.Nr. 653).