Plattenhornstein Typ Baiersdorf (2)
Sesselfelsgrotte, Schicht M3
Grabung Freund 1971
Sequenz vom Stadium des Grundformabbaus
Typologische Zugehörigkeit: Moustérien mit zahlreichen Schabern
Höhe des linken Abschlags: 2.9 cm.
Typisch für die Lagerstätte von Baiersdorf ist zunächst der graue, auch an den Kanten nicht durchscheinende Hornstein, von feiner, kaum merkbar körniger Struktur. Zusätzlich sind an dem links abgebildetem Stück die für den Baiersdorfer Hornstein typischen, von der Rinde ausgehenden ´grauen Wolken´ zu erkennen – das rechte Stück ist ins Herdfeuer geraten und sekundär gebrannt. Die Reste der Cortexfläche entsprechen der rauhen, vermuteten Unterfläche der Baiersdorfer Platten.
Zu sehen sind zwei Abschläge. Sie wurden in 4,10 m Tiefe in ca. 2,5 m Entfernung voneinander gefunden; alleine aufgrund ihrer petrographischen Übereinstimmungen, mit der sie sich von den restlichen, in diesem Schichtabschnitt vertretenen Rohmaterialien deutlich abheben, wäre es erlaubt gewesen, darin das Ergebnis der Zerlegung eines als Einzelstück eingebrachten Gesteinsstückes zu sehen. Da beide Abschläge aneinander angepaßt werden können, ist diese Vermutung abgesichert.
Die distale Partie der Ventralfläche des rechten Abschlages kann dem trapezförmigen Dorsalnegativ, das vom Cortexrest des linken Abschlags ausgeht, aufgesetzt werden, und zwar so, daß (a) die Cortexflächen aneinanderstoßen und (b) der Schlagflächenrest des linken Stückes eine Ebene mit dem Rücken des rechten Stückes bildet. Diese sich so ergebende Fläche ist eine rechtwinklig zur Ebene der Rinde gelegene natürliche Bruchfläche. Die Schlagflächenreste (auf dem Bild als Strichzeichnung wiedergegeben) liegen dann in einem Winkel von ca. 120 Grad zueinander.
Im Vergleich zu den Techniken, die zur Verarbeitung der Plattenhornsteine in den jüngeren Zeitstufen angewandt wurden, ist dieses Vorgehen ungewöhnlich. Sonst werden die Platten vornehmlich als Ausgangsformen für Bifazial-Werkzeuge verwendet (jüngeres bzw. jüngstes Mittelpaläolithikum und Jungneolithikum) oder zum Abbau von schlanken Klingen (Lamellen) entlang der häufig auftretenden geraden Bruchkanten der Platten genutzt (Jungpaläolithikum bzw. Frühneolithikum). Die gezeigten Abschläge belegen eine ganz andere Auffassung, die am besten mit der von E. Boëda für das Mittelpaläolithikum herausgestellten Nutzung einer Fläche (exploitation d’un surface) umschrieben werden kann.
Angesichts des hohen Alters der Stücke – ca. 70 000 Jahre – ist die gute Erhaltung bemerkenswert. Es sind – abgesehen von den thermischen Einwirkungen – keine Spuren einer Patinierung zu erkennen. Die geringfügigen Ausbrüche an den Kanten dürfen eher auf eine Bewegung im Sediment – etwa durch Darüberlaufen – zurückgeführt werden, als auf eine Benutzung im Sinne von Geräten. Nach aller Wahrscheinlichkeit haben wir die nicht weiter beachteten Reste der Zerlegung einer Baiersdorfer Platte vor uns. Dennoch sind sie für uns bemerkenswert:
Die Sesselfelsgrotte liegt in 4 Kilometer Entfernung zur Lagerstätte von Baiersdorf; zudem befinden sich beide Örtlichkeiten am gleichen (nördlichen) Ufer der Altmühl. Somit lag Baiersdorf im Bereich des täglichen Schweifgebietes. Trotzdem sind in den Unteren Schichten der Sesselfelsgrotte (Schichten M1 bis 3-West) die typischen Baiersdorfer Plattenhornsteine nur selten vertreten. Wie konnte den Menschen der Unteren Schichten – die wir biologisch dem Volk der Neandertaler aus dem Moustérien und anhand der Artefakte dem westeuropäischen Mittelpaläolithikum zuordnen können – das Potential der Lagerstätte von Baiersdorf verborgen bleiben ?
Ein Grund war vermutlich eine ungünstige Lagerstättenzugänglichkeit wegen einer bodenbedeckenden Vegetation – wobei zu bedenken ist, daß (a) in dem betreffenden Zeitraum (Frühe Weichseleiszeit, 120.000 bis 65.000 v.H.) überwiegend ein borealer Nadelwald (Taiga) unser Gebiet bedeckt hat, (b) unsere heutige Kenntnis der Lagerstätte von Baiersdorf doch vollständig von der Tatsache abhängt, daß sie heute unter ackerbaulicher Nutzung steht.
Eine zusätzliche Erklärung kann in der Tatsache gefunden werden, daß die Rohmetarialien der Unteren Schichten äußerst heterogen zusammengesetzt sind und aus den unterschiedlichsten Lagerstäten stammen. Nur ausnahmsweise kann der Nachweis erbrachten werden, daß die gleiche Lagerstätte ein zweites Mal aufgesucht worden wäre. Daran erkennen wir ein arbiträr-fakultatives Prospektionsverhalten, ein ´Suchen, das mit einem einmaligen Finden sein Ende genommen hat´.
Literatur:
Boëda, E. : De la surface au volume. Analyse des conceptions des débitages levallois et laminaire. Paléolithique moyen récent et Paléolithique supérieur ancien en Europe. Mémoires du Musée de Préhistoire d’Île de France 3, 1990, 63-68.
Weißmüller, W.: Die Silexartefakte der Unteren Schichten der Sesselfelsgrotte. Ein Beitrag zum Problem des Moustérien. Quartär-Bibliothek 5. Bonn, 1995. (Vgl. Kat.Nr. 182). Moustérien. Quartär-Bibliothek 5. Bonn, 1995. (Vgl. Kat.Nr. 182).